Meusebach und wir

Kleiner Bildungscampus für große Kunstprofis

Jan von der Gathen zum Deutschen Schulpreis 2015, leicht gekürzt

 

„Die einzig revolutionäre Kraft ist die Kraft menschlicher Kreativität“ – wäre Joseph Beuys, der diesen Satz geprägt hat, jemals in Geltow am Schwielowsee im Land Brandenburg gewesen, er hätte die Meusebach-Grundschule besuchen müssen. Dort hätte er die Kraft menschlicher Kreativität spüren, ja förmlich greifen können. Was Kinder hier an künstlerisch und sprachlich ästhetischer Ausdrucksform entwickeln, sucht ihresgleichen…


„Undine“: Wettbewerb für neue Märchen

In der Meusebach-Grundschule spielen – wen wundert’s – Musik und Kunst auch im Unterricht eine große Rolle. Systematisch wird damit fächerübergreifend gearbeitet. Aus einer langweiligen Lernaufgabe wird dann oft ein spannendes Projekt. Beispiel gefällig? „Undine“ – ein Wettbewerb für neue Märchen. Deutsch- und Kunstunterricht mal ganz anders. Schreiben und Illustrieren werden zu einer Symbiose. Lena zum Beispiel aus der dritten Klasse war vom Besuch der Schulärztin so inspiriert, dass sie das Märchen „Das Zahnland“ schrieb. Oder Leonhardt: Er verfasste „Der Wald der 1 000 Augen“. Prompt gewannen die Beiden einen der landesweit vergebenen Preise!


Frischer Wind für das „hässliche Entlein“

Doch diese Grundschule ist keine „Insel der Glückseligen“, die zum „Festland“ (also zum Ort, zur Landschaft, zum Land) keinen festen Bezug hat. Gerade hier in Geltow ist die Einbettung in den Ort und das vitale Miteinander grundlegender Bestandteil und Pfeiler des Schulprogramms. Das wird schon am Namen deutlich: Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach.


Der Jurist, Literaturwissenschaftler und Sammler lebte vor 200 Jahren in Geltow. Als ein enger Freund der Brüder Grimm war er ein Kenner deutscher Literatur und sammelte vor allem Werke von Martin Luther bis ins 19. Jahrhundert. Damit legte er den Grundstock für die Berliner Staatsbibliothek – und auch für den Unterricht der Meusebach-Grundschule.


Kreativität und Kinder: Unterricht mit zwei großen „K`s“

Das erste “K“: Kreativität fördern. Wenn an vielen Grundschulen in Deutschland Kunstunterricht auf dem Stundenplan steht, dann wird der Farbkasten mit den Wasserfarben rausgeholt und der Umgang mit Deckweiß geübt. Nicht in Geltow. Hier geht es um Skulpturen erstellen, Arbeiten mit Holz oder Gips oder auch das Bemalen von großen Segeln – nur eine Reminiszenz an den Schwielowsee, sondern vor allem gedacht zur Verschönerung der tristen Flure.


In Geltow gehört Kunst zum Unterrichtsalltag, einige Beispiele: Kunstportfolio ab Klasse 4, Kunstmappen ab Klasse 5, Abschlussprojekt Kunst der Klasse 6, jährliche Kunstausstellung im Schulhaus, Projekttag in der Kinderkunstgalerie „Sonnensegel“, Kunstausflüge ab Klasse 4 (z.B. zur Akademie der Künste und zur Gedächtniskirche in Berlin). Die Liste ließe sich fortsetzen. Aber Kunst wird auch „reingeholt“ und somit der intensive Kontakt nach außen gepflegt. Musiker, Maler, Schriftsteller sind regelmäßige Gäste in der Schule. Kleine „Kunstprofis“ wachsen hier heran.


Lieder und Gedichte am Grab des Freiherrn

Ein weiteres Beispiel für Kreativität: Die Einrichtung eines Klassenraumes ist eigentlich Sache des Schulträgers in Absprache mit der Schulleitung. Anders in Geltow. Hier wird diese Aufgabe kurzerhand in die Hände der Klasse gelegt. Im Unterricht wurde die Größe des Raumes berechnet, die Sitzordnung diskutiert, die Farbgebung auch unter Beachtung von lernpsychologischen Erkenntnissen festgelegt, das Mobiliar nach ergonomischen, ästhetischen sowie finanziellen Gesichtspunkten ausgewählt usw.


Auch der Umgang mit der Sprache ist den „Meusebachern“ wichtig. Jedes Jahr findet der Meusebachtag statt. Ein Gang zum örtlichen Friedhof an das Grab von Karl Hartwig Gregor Freiherr von Meusebach ist dabei obligatorisch. Dort tragen die Kinder selbstgeschriebene Gedichte vor, singen aus seinen Liederheftchen ausgewählte Stücke. Das ist lebendiger Unterricht. Und im Wort „lebendig“ steckt der Begriff „Leben“!


Das zweite K: Kinder übernehmen Verantwortung. Die Schülerinnen und Schüler fühlen sich hier schon früh ihren eigenen Lernprozessen verpflichtet. Innerhalb eines Schuljahres gibt es Experten-Gespräche. Jedes Kind füllt einen Selbsteinschätzungsbogen aus. Anhand dieses Bogens verläuft das Gespräch zwischen Schüler, Eltern und Lehrkraft. Dabei geht es mehr um Lernprozesse und das Arbeits- und sozialverhalten, weniger um Noten. Am Ende wird ein Ziel festgelegt, dessen Erreichen beim nächsten Gespräch kontrolliert wird.


Wir finden: ein beispielhaftes Instrument der Verantwortungsübernahme für die Bewertung der eigenen Leistungen. In der „freien Wirtschaft“ nennt man das „Zielvereinbarungs-gespräch“. Hier wird es schon ganz konkret mit sechs Jahren eingeübt. Mutig und gut!


„In ELSE sind die Macher“

Lehrpersonen, Schüler und Eltern übernehmen an der Meusebach-Grundschule Verantwortung, für sich und den Anderen. Der Schülermitbestimmung wird großer Wert beigemessen. Vor allem in der ELSE-Gruppe (Eltern, Lehrer, Schüler, Erzieher) haben alle an Schule direkt Beteiligten konkrete Mitgestaltungsmöglichkeiten: „In ELSE sind die Macher, nicht die Selbstdarsteller“, sagt uns ein Vater.

 

In informellen Gruppen kommen die wirklich wichtigen Themen auf den Tisch. Das bezieht sich zurzeit noch immer häufig auf die Umgestaltung des Gebäudes und des Schulgeländes. Eine Mutter bemerkt dazu: „Auch wenn das Schulgebäude von außen grau ist, wird es von der Seele der Schule übertüncht.“ Mit der Einrichtung der ELSE-Gruppe werden die beiden Kernanliegen der Schule deutlich zum Ausdruck gebracht. Erstens: Respektvolles Miteinander, und zweitens: die hohe Bereitschaft, Qualität anzuerkennen.


In Geltow wird nicht zuletzt eine beispielhafte Kooperation zwischen Hort und Schule gelegt, die so nur selten zu finden ist. Von 180 Schülerinnen und Schülern gehen 140 in den Hort. ‚Die eng begrenzte Anzahl von Räumen wird vorbildlich kooperativ genutzt. Diese clevere Doppelnutzung von Räumen im Morgen- und Nachmittagsbereich kommt den Kindern zugute. Auch in den Ferien gehen viele Kinder gern in den Hort. Es ist wie ein „zweites Zuhause“.


Unser Fazit: Vor allem die Innen- und Außenwirkung durch den künstlerischen Schwerpunkt besticht, die Schule ist kulturelles Zentrum im Ort mit hoher Qualität. Sie schafft großen Raum für Vielfalt in allen Lebensbereichen. Durch Förderung von Begabungen im künstlerisch-ästhetischen Bereich ist diese kleine Schule ein Raum des Miteinanders, des Präsentierens, des Stolzes auf das Geschaffene und vor allem eins: ein Raum der kreativen Kraft.